Freitag, 10. Februar 2017

Das perfekte Leben der Isabella Levina L.

Gestern Abend ging bekanntlich die deutsche Vorentscheidung über die Kölner Bühne, und da ich ja meiner VE-Abstinenz immer mehr abschwöre (in zwanzig Jahren habt Ihr mich so weit, dass ich mir das Mello anschaue), hab ich in trauter Runde vor dem Livestream gehockt und mir selbige angeschaut. Traute Runde? Jawoll! Meine Töchter haben mitgeschaut, außerdem waren Herr Sixtus und zwei weitere Freunde meines Eurovisionsfreundeskreises zugeschaltet (1x aus Deutschland, 1x aus Österreich, dazu gleich mehr), so dass das zumindest den Begleitumständen nach ein töfter Abend war.

Auf dem Bildschirm, soviel darf ich vorweg nehmen, war der Abend dann nicht ganz so super und lässt mich etwas ratlos zurück. Aber der Reihe nach.

Der durchaus komplizierte Voting-Modus ist ja schon in epischer Breite diskutiert worden. Da es aber trotzdem nicht so richtig verständlich war, rollen wir das hier nochmal auf. In der ersten Runde traten die glorreichen Fünf mit einem Coversong auf und hinterließen sehr unterschiedliche Eindrücke:

Runde 1

Das Küken musste zuerst auf die Bühne und war dementsprechend aufgeregt. Immerhin hatte Helene richtig Spaß auf der Bühne, auch wenn ich mich nach wie vor frage, wer sie eigentlich unter die letzten Fünf hat kommen lassen. Diese, ähm, Stimme ist zum Gruseln. Yosefin spielte natürlich, was Bühnenpräsenz und -erfahrung angeht, in einer anderen Liga, schoss sich aber durch ihre Songwahl selbst ab. Dennoch hätte ich lieber sie als Helene eine Runde weiter gesehen. Gleiches gilt für Felicia Lu, die mich vor allem durch ihre verschiedenfarbigen Augen faszinierte und ansonsten sehr lenaesk rüberkam, was zwar kein Nachteil sein muss. Dennoch blieb sie genau wie Yosefin durch ihre Songwahl erkennbar unter ihren Möglichkeiten. Dass sie nicht weiterkam, war eine herbe Enttäuschung für mich. Bei Axel kam bei uns trotz Anzug zum ersten Mal das Gefühl auf, dass das was werden könnte, und Levina bot in der ersten Runde nicht nur eindeutig die beste Leistung der Fünf, sondern war schon da die klare Favoritin des Kölner Publikums. Man hätte da eigentlich schon aufhören können, aber da es ja eine Coversong-Runde gewesen war, gings danach erst richtig los.


Pause 1

Matthias Schweighöfer singt. Laut Babsi findet man den im besten Falle super scharf (die genaue Wortwahl hab ich nicht mehr nicht im Kopf), im schlechtesten Falle immer noch süß. Im Falle der Schreiberin dieser Zeilen lässt er einen vollkommen kalt und man fragt sich, was an dem so toll sein soll. Das Lied hab ich schon wieder vergessen.


Runde 2

Jetzt wurde es spannend, denn der erste der beiden groß angekündigten Songs kam zu Gehör. Helene sang Wildfire in einer sehr flotten Country-Interpretation, die mich tatsächlich mitriss und die ich von jemand anderem gesungen gern als Sieger gesehen hätte. Leider konnte man ihr nicht mal eben die Stimmbänder austauschen und ihr Bühnenerfahrung einbimsen. Mit einer Stimme wie eine rostige Gießkanne ist leider nix zu holen. Axel saß statisch auf einem Barhocker und erinnerte mich spontan an Max Mutzke, ohne dessen Stimmgewalt allerdings. Das Arrangement allerdings war mir viel zu glattgebügelt und beliebig. Auch bei Levina muss dieser Song in der Halle irgendwie anders rüber gekommen sein, ich vermute, die hatten alle ein Yohanna-Moment. Bei mir zuhause klangen da einige schräge Töne raus, und auch das balladeske Arrangement war mir viel zu lahm.

Alles in allem kam ich mir bei diesem Song vor wie in einem Puzzlespiel wo jemand an den Teilen rumgeschnipselt hat. Der Song ist gut und eingängig, aber die richtige Kombi aus Arrangement und Sänger/in war leider nicht dabei.


Pause 2

Tim Bendzko durfte neben seiner anstrengenden Juryarbeit auch mal singen.


Runde 3

Alle meine Hoffnungen ruhten nun auf Axel, Levina und Perfect Life. Der Song passte eindeutig besser zu Axel als Wildfire, angeblich hat er sogar ein kleines Tanzschrittchen (huch!) drin gehabt, das ich aber nicht gesehen habe. War auf jeden Fall besser als der erste Versuch. Als Levina Perfect Life sang, war mir sofort klar, dass das der Einäugige unter den Blinden ist und dass diese Kombi unser Song für Kiew werden wird. Das beste Gesamtpaket, allerdings saßen auch hier wieder die Puzzleteile nicht an ihrem Platz.

Kein Lena-Moment. Kein Roman-Lob-Moment. Irgendwie alles - nett. Und nett ist ja bekanntlich die kleine Schwester wovon?


Pause 3

Drei Eurovisionssiegerinnen in einem laut Babsi "sensationellen Medley". Das war der Moment, auf den ICH hingefiebert habe, aber von dem Medley war leider nur das dritte Drittel sensationell. Im ersten Teil metzelte Ruslana (immerhin untenrum mal vollständig bekleidet, wenn auch obenrum nicht) "Euphoria" dahin, wobei sehr deutlich zu merken war, dass Ruslana kein Wort von dem verstand, was sie da sang, was durchaus amüsant war. Nicole vergriff sich an "Merci Cherie". Frust. Nicole hatte früher eine der schönsten Frauenstimmen, die ich jemals gehört habe. Die Art und Weise, wie sie ihre Stimme inzwischen kaputt gesungen hat, macht mich fertig. Da war es für Conchita ein Leichtes, den beiden anderen Damen zu zeigen, wo der Frosch die Locken hat. Ihre Version von "Satellite" war ohne Frage das sängerische Highlight des Abends. Der schönste Moment der gesamten Veranstaltung war übrigens für mich, als die von Conchitas Vortrag sichtlich ergriffene Lena danach aufsprang und alle drei Damen umarmte. Lena herzt Nicole! Dass ich das noch erleben darf!


Runde 4

Levina durfte nun gegen sich selbst antreten. Wildfire war zwar wieder der Burner in der Halle, überzeugte aber am Fernsehschirm auch beim zweiten Mal nicht. Perfect Life klang insgesamt spannender, und glücklicherweise hat sich das abstimmende Publikum dieses Mal nicht von der Stimmung in der Halle und der Meinung von Jury und Moderatorin beeinflussen lassen und mit deutlicher Mehrheit Perfect Life nach Kiew gewählt.


Manöverkritik allgemein:

Moderation: Der Lichtblick an diesem Abend. Babsi ist einfach unverwüstlich und moderierte diese zähen drei Stunden einfach weg. Dabei sparte sie auch den einen oder anderen derben Witz nicht aus. Aber ihre lockere selbstironische Art half einem über manche Pein an diesem Abend hinweg. Thumbs up, wie immer.

Bühne: Bühne?

Jury: Kann man machen, muss man nicht. Die drei trugen jetzt nichts Wesentliches zum Abend bei, störten aber auch nicht. Einzig Herr Silbereisen nervte etwas mit seiner Helenentreue - kriegt er zuhause Ärger, wenn er Leute dieses Namens nicht pusht, oder was? Lena war entzückend, Tim Bendzko der einzige, der mal kritische Töne wagte. Hübsch der Running Gag, dass Herr Silbereisen noch einen Schnelldurchlauf will. Wie gesagt, kann man machen, muss man nicht.

Pausenacts: Ja, doch. Das hat Spaß gemacht, vor allem der Schluss der letzten Pause.

Internationales Barometer: Gott, bin ich froh, dass das dabei war. Ich hätte mir in den Hintern gebissen, wenn man das wieder ignoriert hätte. Wie brauchbar das tatsächlich ist? Keine Ahnung.

Heavytones: Wie sagt der Rabe? Never more.

Songs: Die sensationell angekündigten Songs erwiesen sich als zwei Four-Chord-Machwerke, solide, aber keinesfalls sensationell. Die Arrangements taten ein übriges. By the way, Wildfire hat den Fabianschen Hörtest bestanden (nach dem 2. Hören drin), wohingegen ich Perfect Life einfach nicht in den Gehörgang kriege - und das trotz günstigster Bedingungen. That sounds good to me. Not. Und es frustriert mich nach wie vor, dass die Knallerkombi aus Songarrangement und Interpreten einfach nicht dabei sein wollte. Man kann natürlich einwenden, dass da bis Mai noch was gemacht werden kann, aber wer daran glaubt, glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Am allerliebsten wäre mir ja, dass wir uns am üblichen weißrussischen Vorgehen mal ein Beispiel nehmen und gleich den ganzen Song austauschen. Aber das wird latürnich nicht passieren. Das Thema Plagiatsdiskussion möchte ich gern hier aussparen, das ist so überflüssig wie ein Kropf.

Interpreten: Nuuun ja. Ich war ja beim Vorsingen nicht dabei, sondern habe nur die Speed-Dating-Videos gesehen, in denen die Kandidaten dem Bürger Lars Dietrich ein paar Tönchen vorgeträllert haben, aber die Frage muss mal gestattet sein: WER zum Henker hat denn Helene ins Finale gehievt? Und warum muss jemand, der so ESC-unpassend wirkt wie Axel, durch diese Tretmühle? Zugegeben, er hat sich gestern sehr teuer verkauft und das wirklich gut gemacht, dennoch gebe ich dem Silbereisen hundertprozentig recht: Die ESC-Bühne ist nicht wirklich Axels Bühne. Gut, das war es bei Max Mutzke auch nicht, aber der spielt stimmlich dann doch nochmal eine Liga höher. Yosefin und Felicia haben sich durch falsche Songwahl in der Coverrunde leider selbst rausgekickt, Ich hätte die beiden Songs gern auch mal von ihnen gehört. Bleibt Levina, und die ist nun wirklich eine würdige Siegerin, war sie doch in sämtlichen Runden klar die beste. Man würde ihr nur einen besseren Song wünschen! Im Moment erinnert mich das doch sehr an Lidia Isac aus Moldawien letztes Jahr: Tolle Sängerin mit toller Optik, Song zum Vergessen.

Konzept: Uff. Doppel-Uff. Zu verwirrend, zu viele Runden, zu wenige Songs, zu viele Heavytones. Wenn hier was gerissen wird in Kiew, dann liegt das ausschließlich an Levina und ihrem Können, wiewohl ihr ein wenig die Leichtigkeit fehlt. Über alles andere möchte ich gern den Mantel des Schweigens breiten. Bitte macht es das nächste Mal anders. Und vor allem: THE SONG!

Lieber NDR, schaut doch bitte einfach nochmal das hier an und lernt:

Das kann doch irgendwie nicht so schwer sein! Und wenn Ihr es nicht könnt, dann gebt es ab!


Nun ja. Die Wettquoten für Deutschland fallen derzeit wie ein Stein. Immerhin: Österreich liegt derzeit (noch) hinter uns, und meinen beiden österreichischen Freunden ging gestern abend Nathan-Trent-bezüglich schon ziemlich der Hintern auf Grundeis ("Wo hat der ORF den her? Was haben sie sich dabei gedacht?"). Ich hoffe in beiden Fällen nicht, dass wir uns wieder gemeinsam das Scoreboard von unten begucken und wünsche Levina all the best of luck in Kiew - sie kann es gebrauchen. Und ich hoffe, dass die ganzen Unkenrufer, die bereits den dritten letzten Platz in Folge kommen sehen, Unrecht behalten.

In diesem Sinne: Viel Glück in Kiew, Levina! Und uns allen eine tolle Saison!